Trauergedichte von Karl May

Einer der größten und bekanntesten Söhne unserer Stadt ist natürlich Karl May, welcher im Stadteil Ernstthal geboren worden ist.

Viele sind mit Winnetou, Old Shatterhand, Hadschi Half Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossara und vielen anderen der von ihm geschaffenen literarischen Figuren aufgewachsen.

Im Laufe der Jahre hat er auch das eine oder andere Gedicht zu Trauer und Abschied geschrieben. Einige wenige davon möchte ich hier für den oder die interessierte Besucher(in) hinterlegen.

Widmung

Ich fragte zu den Sternen
wohl auf in stiller Nacht,
ob dort in jenen Fernen
die Liebe mein gedacht.
Da kam ein Strahl hernieder,
hell leuchtend, in mein Herz
und nahm all meine Lieder
zu dir, Gott, himmelwärts.

Ich fragte zu den Sternen
wohl auf in stiller Nacht,
warum in jene Fernen
er sie emporgebracht.
Da kam die Antwort nieder:
»Denk nicht an irdschen Ruhm;
ich lieh dir diese Lieder;
sie sind mein Eigentum!«

Ich fragte zu den Sternen
wohl auf in stiller Nacht:
»Gilt dort in jenen Fernen
auch mir die Himmelspracht?«
Da klang es heilig nieder:
»Du gingst von hier einst aus
und kehrst wie deine Lieder
zurück ins Vaterhaus!«


Ragende Berge

Ich sehe Berge ragen
dort an der Steppe Rand.
Es soll mein Fuß mich tragen
hinauf ins bess’re Land.
Dort ladet, wie ich glaube,
zur Ruhe man mich ein,
und von dem Wanderstaube
werd ich gereinigt sein.

Ich sehe Berge ragen
empor zum geistgen Ziel.
Es türmen sich die Fragen,
doch frage ich nicht viel.
Es wird ja doch beim Steigen,
halt ich zuweilen an,
sich ganz von selber zeigen,
wie weit ich schauen kann.

Ich sehe Berge ragen
bis in des Lichtes Reich.
Der Glaube wird mir sagen
den Weg, den rechten Steig.
Dort find ich offne Türen:
Mein Engel tritt heraus
und wird mich weiter führen
bis in das Vaterhaus.


Gottesstunde

Du rechnest nach der Zeit der Erde
und ahnst noch nichts von Himmelszeit.
Nach welcher Gott wohl rechnen werde,
darüber weißt du nicht Bescheid.
Zwar hast du dem metallnen Munde
die irdschen Zeichen eingeprägt,
doch hörst du nicht die wahre Stunde,
die tief in deinem Innern schlägt.

Durch deine Zeit ward dir geboren
des Lebens ganze, schwere Last;
die wahre Zeit ging dir verloren,
weil du sie nicht begriffen hast.
Nun schmerzt dich manche, manche Wunde,
doch machte keine noch dich klug:
Du hast versäumt die Gottesstunde,
als sie in deinem Innern schlug.

Will’s Gott in seiner Gnade geben,
daß sie dir nochmals schlagen mag,
so trittst du in ein neues Leben
an deinem ersten Himmelstag.
Nur lausche, lausche stets der Kunde,
die dir sein Engel abwärts trägt;
versäume nicht die Gottesstunde,
wenn wieder an dein Herz sie schlägt!


Bitte

Geh hin, mein Herz, und kniee nieder,
und sprich: »Nimm mich, o Vater, wieder!«
Im Himmel war ich mir zu klein;
ich wollte Herr der Erde sein,
und um sie ganz und gar zu erben,
gab ich den kühnen Preis, zu sterben.

Geh hin, mein Herz, und kniee nieder,
und sprich: »Nimm mich, o Vater, wieder!«
Mir war zu eng die Ewigkeit;
ich trat als Sünder in die Zeit
und hab in keiner ihrer Stunden
das, was ich mir versprach, gefunden.

Geh hin, mein Herz, und kniee nieder,
und sprich: »Nimm mich, o Vater, wieder!«
Ich war verblendet. war betört,
als ich mich gegen dich empört,
und will es niemals wieder wagen,
dich nach dem Herrscherrecht zu fragen.

Geh hin, mein Herz, und kniee nieder,
und sprich: »Nimm mich, o Vater, wieder!«
Jetzt ist die Erde mir zu klein;
ich will im Himmel wieder sein
und bin bereit, um ihn zu erben,
dem Irdschen wieder abzusterben


Ade

Ich gehe fort, und dennoch geh ich nicht.
Ade, mein Heim, und doch auch nicht ade!
Ich scheide zwar, doch !eist ich nicht Verzicht,
daß ich dich einst nach Jahren wiederseh.
Ob dich mein Fuß für eine Zeit verläßt,
du hältst doch meine ganze Seele fest.
Ans Land, wo meine Wiege einst gestanden,
bleib ich gekettet mit geheimen Banden.

Ich gehe fort, und dennoch geh ich nicht.
Ade, lieb Mütterlein, und nicht ade!
Ob auch der Mund das Wort des Abschieds spricht,
das Herz weiß doch, daß ich nicht von dir geh.
Treibt das Geschick mich in die Welt hinaus,
es scheint nur so; ich bleib bei dir zu Haus.
Wohl mag der Gram mein Gehn ein Scheiden nennen,
die Ferne kann nie Sohn und Mutter trennen.

Ich gehe fort, und dennoch geh ich nicht.
Ade, ihr Lieben, und doch nicht ade!
Trägt mich der Tod jetzt auf zum ewgen Licht,
wißt, daß unsichtbar stets ich bei euch steh.
Von Gott zu eurem Schutz herabgesandt,
halt über euch ich meine treue Hand.
Es stirbt der Körper nur, und nach dem Tode
wird mein Gebet für euch ein Himmelsbote.


Auf dem Friedhofe

Komm her; komm her, du fremder Wandersmann;
geh nicht vorbei an unbekanntem Grabe.
Hör mich, ja auch um deinetwillen, an,
und glaube, was ich dir zu sagen habe!

Ein jeder Mensch, der nach dem Himmel strebt,
soll hier ein liebes, gutes Wörtlein sagen;
es wird der Seele, die da oben lebt,
auf Händen des Gebets emporgetragen.

Dort nimmt sie es mit Freuden in Empfang
und lächelt dankbar auf den Spender nieder,
und dieses Lächeln strahlt ihm lebenslang
das, was er gab, mit tausend Zinsen wieder.


Des Kindes Seligkeit

Ich schlafe ein an meiner Mutter Brust;
o welche Wonne, welche selge Lust!
Die Mutter ist so fromm; sie ist so rein,
und ich will so wie sie auch immer sein.

Ich schlafe ein an meiner Mutter Brust;
o welche Wonne, welche selge Lust!
Sie ist so lieb; sie ist so mild, so gut;
ich sag ihr Alles, was mir wehe tut.

Ich schlafe ein an meiner Mutter Brust;
o welche Wonne, welche selge Lust!
Geht sie dereinst in Gottes Himmel ein,
wird sie mein Engel, o mein Engel sein!


Im Alter

Ich bin so müd, so herbstesschwer
und möcht am liebsten scheiden gehn.
Die Blätter fallen rings umher;
wie lange, Herr, soll ich noch stehn?
Ich bin nur ein bescheiden Gras,
doch eine Ähre trag auch ich,
und ob die Sonne mich vergaß,
ich wuchs in Dankbarkeit für dich.

Ich bin so müd, so herbstesschwer,
und möcht am liebsten scheiden gehn,
doch brauche ich der Reife mehr,
so laß mich, Herr, noch länger stehn.
Ich will, wenn sich der Schnitter naht
und sammelt Menschengarben ein,
nicht unreif zu der Weitersaat
für dich und deinen Himmel sein.


Heimkehr

Ich kehre heim! Auch ich ging wie die Andern
hinaus ins Leben, in die weite Welt.
Doch nirgends bot sich mir bei meinem Wandern
die rechte Stelle für mein kleines Zelt.
Es störte mich das Locken und das Prahlen
mit nichtgem Tand, mit eitlem Trug und Schein;
ich wollte nicht das Blei mit Gold bezahlen
und nicht der Erde meinen Himmel weihn.

Ich kehre heim! Ich sehe rings ein Trachten
nach Zielen, die nicht meine Ziele sind.
Ich will zur Heimat; mag man mich verachten,
daß da ich sein will, wo ich war als Kind.
Ich will zurück zu jenen selgen Tagen,
wo ich an dich und deiner Engel Schar
so innig glaubte, ohne viel zu fragen,
und nur dein Kind und gar nichts Andres war.

Ich kehre heim! Ich bin des Hastens müde
nach Flitterkram, nach gleißnerischem Ruhm.
Sei du mein Stab; führ mich in deiner Güte
zu meiner Kindheit süßem Heiligtum!
Ich weiß es ja, dies Trachten und dies Dichten
bringt nicht das wahre Heil, das wahre Glück;
ach will so gern. so gern darauf verzichten
und kehr in meine Jugendzeit zurück.

Ich kehre heim? Ich sehne mich nach Ruhe,
und diese find ich nur und nur in dir,
denn was ich für das Zeitliche hier tue,
das rächt sich an dem Ewigen in mir.
Ich kehre heim. Mein himmlischer Berater.
ich bin so gern dein Kind. so gern noch klein:
Du warst schon meiner Jugend Schirm und. Vater
und sollst es, wenn ich sterbe. auch noch sein!


Im Traum

Ich ging im Traum zum Himmel ein
und blieb dort an der Türe stehen.
Ich sah so viele Engelein
hinaus und wieder einwärts gehen.

Sie schwebten leuchtend hin und her,
der Himmel hier und dort die Erde,
auf letzterer zu fragen, wer
sich ihnen anvertrauen werde.

Doch ob ich ohne Unterlaß
auf ihr Bemühn, ihr Sorgen schaute,
es war so wunderselten, daß
sich ihnen jemand anvertraute.

Das tat mir so unendlich leid,
daß ich von meinem Traum erwachte
und nun seitdem und allezeit
den Engeln zu gehorchen trachte.

O, könnte Jeder so, wie ich
einmal im Traum zum Himmel gehen,
es würde dieser sicherlich
nicht mehr vergeblich offen stehen!


Tagesscheiden

Nun gehst du hin in Frieden,
du schöner, goldner Tag.
Bist du von uns geschieden,
ich doch nicht trauern mag.
Du kehrst doch morgen wieder;
nicht ewig währt die Nacht;
dann steigst du vom Himmel hernieder
in neuer uns segnender Pracht.

So werd auch ich in Frieden
von hinnen scheiden gehn;
es gibt doch schon hinieden
ein geistig Auferstehn.
Am Firmament geschrieben
steht mein und euer Glück:
Als segnender Engel, ihr Lieben,
kehr täglich zu euch ich zurück.


Zuversicht

Ich bin in Gottes Hand, wo ich auch geh und steh;
seit meinem ersten Tag bin ich geborgen.
Er kennt mein Herz mit allem seinem Weh,
mit seinen großen, seinen kleinen Sorgen.
Es schützen stetig mich bei Tag und Nacht
die lichten Engel, die er mir gesandt;
drum gibt’s für mich nichts, was mich bange macht;
ich weiß es ja, ich steh in Gottes Hand.

Ich bin in Gottes Hand, die mich so sicher stellt,
daß keinem Feind ich in die Hände falle.
Drum fürcht ich mich nicht mehr vor der ganzen Welt,
so lang ich gläubig seine Pfade walle.
Ich bebe nicht, mag kommen was da will;
ich zittre nicht selbst an des Abgrunds Rand;
er führt mich doch dahin, wohin er will;
ich weiß es ja, ich steh in Gottes Hand.

Ich bin in Gottes Hand. Sie hält mich treu und fest
wenn andre Hände gierig nach mir fassen.
Da sein Erbarmen nimmer mich verläßt,
so müssen sie doch endlich von mir lassen.
Mit ihm vereinigt mich für alle Zeit
mein Glaube als ein unzerreißbar Band.
Sein Eigentum bin ich in Ewigkeit;
ich steh und bleib in meines Gottes Hand.


Abschied

Ade, ade! Ich ziehe von dir fort,
kenn nicht das Ziel, kenn weder Zeit noch Ort.
Das Auge weint; es tut das Herz mir weh,
doch zag ich nicht. Ade, ade, ade!

Ade, ade! Ich ziehe von dir fort
und nehm den Glauben mit als meinen Hort.
Er kündet mir, indem ich von dir geh,
ein Wiedersehn. Ade, ade, ade!

Ade, ade! Ich ziehe von dir fort
und sage dir ein liebes, schönes Wort:
Wenn ich auch nicht an deiner Seite steh,
es schützt dich Gott. Ade, ade, ade!


Eine Freundesstimme

Du warst bei mir, an meinem Grabe,
hast nach dem Blumenkranz geschaut.
Er war die letzte Erdengabe,
vor der im Leben mir gegraut.

O, wüßtest du, wie man empfindet,
wenn solchen Kranz man liegen sieht
und sich hinausgetragen findet
beim Sterbe-, beim Begräbnislied!

O, könntest du – – – doch muß ich schweigen;
Verstorbenen versagt das Wort,
denn wiß, es gibt lebendge Leichen
und tote Geister hier wie dort. – – –

Du warst bei mir, an meinem Grabe,
hast nach dem letzten Kranz geschaut.
Wie hat mir einst vor dieser Gabe
und vor dem letzten Lied gegraut!

Und dieses Graun blieb unverstanden.
Wie’s auch zu dir vergebens spricht;
die Mahnung Gottes war vorhanden,
jedoch bei uns der Glaube nicht.

Nun möcht ich dir wie gern gestehen,
daß wir gefehlt, daß wir geirrt,
sonst muß es dir wie mir ergehen,
wenn dir nicht baldigst Hülfe wird. – – –

O, komm noch oft zu meinem Grabe;
knie nieder dort, und bete still,
und was ich dir zu sagen habe,
sagt dir dein Herz – – – so Gott es will!


Sonnenschein

Sei lieb; sei gut, und zürne nicht!
Warum willst du nicht gütig sein?
Dein Leben sei wie ein Gedicht,
das Titelwort »Nur Sonnenschein«.

Schau dir die liebe Sonne an!
Ihr Segen reicht so weit, so weit.
Sie leuchtet nicht bloß dann und wann;
sie tut es stets, zu aller Zeit.

Sie küßt die Sterne ohne Wahl;
sie weiß von Gunst und Vorzug nichts.
Es trifft den Berg wie auch das Tal
die ganze Fülle ihres Lichts.

Und daß sie keinen Dank begehrt,
das weißt du wohl schon längst von ihr.
Sie denkt ja, was sie dir beschert,
gehöre Alles, Alles dir.

Was man auf Erden von ihr meint,
das stört sie nicht in ihrem Lauf.
Sie hat geschienen, und sie scheint;
sie hört auch nicht zu scheinen auf.

Sei lieb; sei gut, und zürne nicht;
denk immer an den Sonnenschein;
dann wird dein Leben ein Gedicht
des Himmels für die Erde sein!


Bedachtsamkeit

Sei ruhig; stürme, stürme nicht!
Warum sollst du dich überstürzen?
Tu recht und billig deine Pflicht;
du kannst die Zeit doch nicht verkürzen.

Sei ruhig; dräng dich nicht voran!
Es gilt, die edle Kraft zu sparen.
Wer diese Kraft nicht zügeln kann,
der wird mit ihr nicht glücklich fahren.

Sei ruhig. doch versäume nichts!
Es darf sich keine Lücke zeigen.
Willst du empor zum Quell des Lichts,
hast du behutsam aufzusteigen.

Sei ruhig, immer unbeirrt!
Laß dich von Andern nicht betören;
denn wer sich selber untreu wird,
der ist von ihnen leicht zu stören.

Sei ruhig, wenn das Ende naht!
Bist du nicht zaghaft wie so Viele,
so bringt die letzte, schwerste Tat
auf Engelsschwingen dich zum Ziele.


Das Wort

Sprich nie ein liebeloses Wort,
denn es ist nicht ein leerer Schall.
Du sendest es zwar von dir fort,
doch bleibt es bei dir überall.

Es geht mit dir, wohin du gehst,
begleitet dich auf Schritt und Tritt,
und ob du es auch nicht verstehst,
es nimmt sogar noch andre mit.

So wächst die liebelose Schar,
die nichts als Böses von dir spricht,
und was zuerst ein Wort nur war,
das wird zum Spruch einst im Gericht.


Dein eigener Richterspruch

Hast du geliebt? Weißt du wohl, was das heißt?
Denk nach. denk nach, wenn du es noch nicht weißt.
Die Frage wird dir jeden Tag gegeben;
die Antwort hast du jeden Tag zu leben.

Hast du geliebt? Es wird ein Ja verlangt,
Weil Jeder so wie du, nach Liebe bangt.
Was du ihm gibst, sein Engel trägt’s nach oben,
und dort. dort wird es für dich aufgehoben.

Hast du geliebt? So wirst du einst gefragt,
Wenn das Gericht des Allerforschers tagt.
Das Urteil hast du dir dann selbst zu geben;
es liegt schon da: Es ist dein Erdenleben!


Trost

Siehst du ein Menschenkind in Tränen,
verhaltnes Schluchzen in der Brust,
so wolle ja nicht, ja nicht wähnen,
daß du mit Worten trösten mußt.

Vermeide es, ihn zu beraten;
geh weiter, aber sende dann
die Liebe, die in stillen Taten
ihm heimlich, heimlich helfen kann.

Berührt ein kalter Schall die Wunde,
so schmerzt er nur und heilt sie nicht;
der Trost wohnt nicht im leeren Munde,
er ist des Herzens tiefste Pflicht.

Vor einem Wort am rechten Orte
kehrt wohl der Harm beruhigt um,
doch wahrer Schmerz hat keine Worte,
und auch der wahre Trost ist stumm.


Überflüssig

Nehmt mir den Stein von meinem Grabe;
für mich gibt’s keinen Leichenstein!
Ich, der ich nun verklärt mich habe,
will doch für euch kein Toter sein!

Warum das Weinen und das Klagen,
wozu der Gram, das Herzeleid?
Was ihr von mir hinausgetragen,
war nur das abgelegte Kleid.

Ich bin im Geist bei euch geblieben,
für den es keine Trennung gibt,
und werde euch auch ferner lieben,
so, wie ich euch bisher geliebt.

Zwar könnt ihr mich jetzt nicht mehr sehen,
obgleich ihr mir noch sichtbar seid,
doch ist ja weiter nichts geschehen,
als: ich bekam ein andres Kleid.

Und dieses Kleid; ich soll es tragen
zu meinem Heil, zu meinem Glück.
Das alte – tröstend will ich’s sagen –
ich wünsche es mir nicht zurück.

Doch, wenn ihr weint, dürft ihr nicht wähnen,
ich könne mich euch selig nahn;
es tut mir jede eurer Tränen
noch weher, als sie euch getan.

Laßt sie fortan nicht weiter fließen,
so lieb ihr es auch mit mir meint;
sie auf den Hügel auszugießen,
dazu sind sie doch nicht geweint.

Drum, nehmt den Stein von meinem Grabe,
da ihr nun wißt, ich lebe noch!
Wenn ich euch auch verlassen habe,
so bleibt euch meine Seele doch.


Zum Schluß

Ade, ade, ihr wohlgemeinten Worte,
gesprochen für der Menschheit Heil und Glück.
Es bleibt euch offen die vertraute Pforte,
o kehret gern, kehrt als Gebet zurück!
Ihr tönet nicht von unbekanntem Orte;
ihr seid nicht leerer, wesenloser Schall.
Im großen, frommverstandnen Weltakkorde
ist heilges Leben jedes Intervall.

Geht hin, geht hin! Es wird euch stets begleiten
der Glaubensmut, der laut zu sprechen wagt,
um Liebe, nichts als Liebe zu verbreiten,
wo man euch freundlich ein Willkommen sagt.
Es wechseln in der Sterblichkeit die Zeiten,
der Glaube aber bleibt unwandelbar
und wird einst siegreich über Alles schreiten,
was ihn verhöhnte, weil es sterblich war.

Doch sollt ihr nicht das Schwert des Glaubens schwingen,
nein, nur des Glaubens Schild ist euch erlaubt.
Ihr habt als Friedensworte zu erklingen,
weil nur der Friede an den Frieden glaubt.
Es hat der Mensch sich selbst erst zu bezwingen
und darum immer kampfbereit zu sein.
Doch will er dann die Feinde niederringen,
so kann er das durch Liebe nur allein!


Ewig

Ihr sucht und sucht: »Wo ist die Ewigkeit?«
»Jenseits des Todes! Über unsern Sternen!
Hier ist die Zeit, und grad nur in der Zeit
hat für das ewge Leben man zu lernen.
Hier sind die Jahre, Monde, Tage, Stunden;
wir leben nach des Uhrenzeigers Lauf.
Hat er die Zwölf, die Mitternacht, gefunden,
so kommt die Ewigkeit, die Zeit hört auf.«

So wird von euch gesprochen und gedacht;
so hören es die Schüler von den Meistern,
und während Einer frech darüber lacht,
läßt sich der Andere davon begeistern.
Ihr meint, die Ewigkeit sei nur zu glauben,
sei eine Zweifelssache, ein Vielleicht,
und sendet aus der Arche eure Tauben,
von denen keine auf zur Wahrheit steigt.

So hört es denn: Die Ewigkeit ist dort,
ist hier, ist vor und nach euch, allerorten,
der Zeitenraum, der grenzenlose Ort,
der nur im Wechsel endlich ist geworden.
Sobald die ewge Liebe schöpfrisch handelt,
hat ihren Ratschluß sie in Form gebracht
und die Unendlichkeit in Zeit verwandelt,
doch diese Zeit als ewig sich gedacht.

So lebt ihr also in der Ewigkeit;
euch ward die Gnade, sie als Zeit zu fassen.
Benützt ihr sie, so wird als Seligkeit
der Herr sie euch für ewig, ewig lassen.
Wer dies nicht tut, dem steht der Abgrund offen.
Aus dem die Erdenstunde ihn gebar,
und nur vom Himmel ist für ihn zu hoffen,
daß er das wieder wird, was hier er war.


Gottesgedanke

Ich bleib dir treu. Du wardst mit mir geboren
als mein Begleiter für das Erdental.
Wir gingen uns niemals, niemals verloren;
ich war die Welt; du warst mein Sonnenstrahl.
Ja, ich die Welt! Es ist der Schöpfung Ganzes
im Menschen klein, doch völlig dargestellt,
und atmet es im Lichte deines Glanzes,
so ist es eine große, schöne Welt.

Ich bleib dir treu. Es wechselten die Zeiten
es kamen Jahre, Monde, Tag und Nacht.
Sie waren Bilder einstger Ewigkeiten,
und du hast sie verständlich mir gemacht.
Ich leb ein äußres und ein innres Leben,
eins mehr für hier, das andre mehr für dort,
und soll ich beiden Ziel und Richtung geben,
so find ich nur durch dich das rechte Wort.

Ich bleib dir treu, du herrlicher Gedanke,
daß Gott auch meine kleine Welt regiert.
Vor dir fällt jede, auch die letzte Schranke,
an welcher selbst der Mut den Mut verliert.
Du warst die einzge Leuchte mir auf Erden
und wirst sie mir für ewig, ewig sein.
Wer darnach trachtet, selig einst zu werden,
der wird es nur durch dich, durch dich allein.


Liebe

Es ward vom Herrn ein großes Wort geschrieben,
wie größer es kein andres, zweites gibt:
Wer Liebe finden will, muß selbst auch lieben,
weil nur empfangne Liebe wieder liebt.
Und bliebe sie auch ohne Gegenspende,
so ist sie ja die ewge Gotteskraft,
die aus sich selbst heraus und ohne Ende
sich stete Fülle, neue Gaben schafft.

Es ward vom Herrn ein großes Wort geschrieben
wie größer es kein andres, zweites gibt:
Nur der versteht es, recht und wahr zu lieben,
der die empfangne Liebe weiterliebt.
So soll von Sieg zu Sieg sie stetig streben,
allgegenwärtig wie der Sonnenschein,
zur Allmacht werden auch im Erdenleben
und die Befreierin der Menschheit sein.

Es war vom Herrn ein großes Wort geschrieben,
wie größer es kein andres, zweites gibt:
Einst wird das Kind so, wie der Vater lieben,
die Kreatur so, wie der Schöpfer liebt.
O Gott, o Liebe, nimm mich ganz zu eigen;
ich gebe mich dir durch dich selber hin.
Führ mich in dich, und laß zu dir mich steigen,
bis einst ich auch nur Liebe, Liebe bin!


Gnade

Steig nieder, liebes, heilges Wunder,
das ich gern fassen möcht und doch nicht kann.
Senk dich zu mir, in mich herunter,
und zünd in mir des Altars Kerzen an.
Sie harren dein, schon lange dir bereit;
o komm, o komm, es ist wohl an der Zeit!

Steig nieder, liebes, heilges Wunder,
das ich gern fassen möcht und doch nicht kann.
Bring deinen Himmel mir herunter,
und zünd am meinigen die Sterne an.
Sie harren dein, schon lange dir bereit,
und sollen leuchten bis in Ewigkeit.

Steig nieder, liebes, heilges Wunder,
das ich gern fassen möcht und doch nicht kann.
Dann geht zwar dein Geheimnis unter,
doch bricht für mich der Tag des Schauens an;
im Jubelton erschallt der Selgen Chor,
und du trägst mich zum Wiedersehn empor.


Frage

Hast du gelebt? O, wolle Antwort geben:
Hältst du dein Leben wirklich für ein Leben,
das dich zu sich zurück, zum Leben, führt?
Wie weit bist du zum Urquell vorgedrungen,
dem deine Seele, dem dein Sein entsprungen,
dem deine ganze Strebenskraft gebührt?

Hast du geglaubt? O, wolle mir doch sagen,
wie viele wohl von deinen Erdentagen
den wahren, ächten Sonnenschein gekannt.
Der Glaube gibt Unendlichkeit des Schauens
im klaren, warmen Lichte des Vertrauens
und zeigt dir jenes, nicht nur dieses Land.

Hast du gewirkt? O, wolle mich verstehen:
Ich sehe fleißig dich zur Arbeit gehen;
du sorgst und kämpfest in und mit der Zeit.
Doch, öffnet sich dir einst die dunkle Pforte,
so knarren in den Angeln dir die Worte:
»Hast du gewirkt auch für die Ewigkeit?«


An die Mutter

Ich hab gefehlt, und du hast es getragen,
so manches Mal und, ach, so lang, so schwer.
Wie das mich nun bedrückt, kann ich nicht sagen;
o komm noch einmal, einmal zu mir her!

Du starbst ja nicht; du bist hinaufgestiegen
zu reinen Geistern, meiner Mutter Geist.
Ich weiß, du siehst jetzt betend mich hier liegen;
o komm, o komm, und sag, daß du verzeihst!

Komm mir im Traum; komm in der Dämmerstunde,
wenn, Stern um Stern, der Himmel uns umarmt.
Bring mir Verzeihung, und bring mir die Kunde,
daß auch die Seligkeit sich mein erbarmt!


Großmütterchen

Sie trug mich stets auf ihren Armen;
sie lehrte mich den ersten Schritt,
und weinte ich zum Herzerbarmen,
so weinte sie erbarmend mit.
Wenn sie des Abends mich ins Nestchen
mit linder Segenshand gebracht,
so bat ich: »Bleibe noch ein Restchen«,
und meinte da »die ganze Nacht«.

Und wenn ein böser Traum mich schreckte,
so saß sie da beim kleinen Licht,
nahm weg den Schirm, der es bedeckte,
und sah mir liebend ins Gesicht.
Trotz ihrer hellen Augensterne
tat ich sodann die Frage doch:
»Ich träume ohne dich nicht gerne;
Großmütterchen, sag, wachst du noch?«

Zwar ist sie längst von mir gegangen;
ich selbst bin alt, fast schon ein Greis,
und fühl mich doch von ihr umfangen,
die mich noch jetzt zu segnen weiß.
Stets ist es mir, geh ich zur Ruhe,
als setze sie sich zu mir hin,
und wenn ich etwas Wichtges tue,
kommt sie mir hilfreich in den Sinn.

So oft ich Sterne leuchten sehe,
hell wie in meiner Jugendzeit,
hör ich ihr Wort: »Was auch geschehe,
du und dein Glück, ihr seid gefeit.«
Dann möcht ich, wie in jenen Tagen,
zwar überflüssig, aber doch
die lieben, lieben Sterne fragen:
»Großmütterchen, sag, wachst du noch?«


Umkehr

Ich segne dich. Ich sah die Träne stehn
im Auge, das du bittend zu mir hobst.
Ich segne dich. ich sah dich in dich gehn
und höre, was du dir und mir gelobst.
Es ist ein Jubeltag dem Paradies
und allen seinen Seligen beschert,
wenn eine Seele, die es einst verließ,
am Arm der Einsicht reuig wiederkehrt.

Ich segne dich. Ich sah dich betend knien:
Ich hörte es, du habest dich ermannt
und wollest endlich, endlich heimwärts ziehn,
da du den Weg zum wahren Heil erkannt.
Ich segne dich wie Niemand segnen kann
als ich, die ew’ge Liebe, nur allein,
und fühlst du diese meine Liebe, dann
wirst du für immerdar gesegnet sein.

Ich segne dich, weil du um Gnade batst,
denn du warst mir noch immer, immer lieb.
Du Armer wußtest ja nicht, was du tatst,
als dich der Irrtum aus dem Himmel trieb.
Ich segne dich, und dieser Segen faßt
in sich des Himmels ganze Seligkeit:
So wie Vergebung du gefunden hast,
sei zum Verzeihen stets auch du bereit!


Kannst du noch beten?

Kannst du noch beten? Sag, kannst du es noch?
Wenn nicht. so denk an deine Mutter doch,
wie sie so liebend über dir gewaltet
und dir die kleinen Händchen fromm gefaltet,
damit der liebe Gott ihr Glück bewahre,
und dieses Glück warst du – – wie viele Jahre?

Kannst du noch beten? Sag, kannst du es noch?
Wenn nicht, so denk an deine Kinder doch!
Hältst du’s für überflüssig, sie zu lehren,
den Herrn und Vater gläubig zu verehren?
Was kann der irdische von ihnen wollen,
wenn sie den himmlischen nicht achten sollen?

Kannst du noch beten? Sag, kannst du es noch?
Wenn nicht. so fasse Mut: versuch es doch!
Es wartet Gott wohl gar Zeit deines Lebens
nur auf ein kleines Wörtchen. doch vergebens.
Die Todesangst wird dieses Wort dir zeigen.
Vielleicht zu spät: die Antwort ist dann – – Schweigen!


Meinem Schutzengel

Ich war bei dir und lag doch so entlegen
von deiner Wohnung betend auf den Knien.
Ich war bei dir; ich bat um deinen Segen
und fragte, ob du mir vielleicht verziehn.

Du warst bei mir und standest doch so ferne
von meinem Erdenheim vor Gottes Thron.
Wir atmen zwar nicht auf demselben Sterne,
doch fühl ich Segen und Verzeihung schon.

Wir haben uns, du Geist, ich Staub, gefunden,
als ich durch dich den Weg zum Himmel fand,
und sind wie Leib und Seele nun verbunden,
wie Gottes Wille und des Menschen Hand.

Und kann ich diesen Willen nicht begreifen,
so gibst du mir ihn klar und klarer kund:
Ich soll durch dich empor und zu dir reifen;
dann gehn wir weiter; das ist unser Bund.


Zwei Worte

Zu früh, zu spät – – zwei Worte, welche eigen
dem Menschenleben, auch dem deinen, sind.
Du siehst, daß dir die Stunden schnell verstreichen
und daß mit ihnen deine Zeit verrinnt.
Du ahnst den Irrtum nicht, an dem du leidest;
du hast ja Zeit, du hast unendlich Zeit,
und wenn du dich in ihr zu früh entscheidest,
entscheidest du für deine Ewigkeit.

Es war zu früh, als du die Rechnung schlossest
und in das Defizit den Himmel warfst,
zu früh, als du begeistert überflossest
für Zwecke, denen du nicht dienen darfst.
Es war zu früh; du warst nicht reif zum Denken,
als du dein Ziel nur an das Grab gestellt,
denn du verstandest noch nicht, dich in die Gruft zu senken,
um aufzustehn schon hier in dieser Welt.

Es war zu spät, als plötzlich du erkanntest,
daß du vielleicht, vielleicht nicht recht getan,
zu spät, als du dich halb, nur halb ermanntest,
denn das »Vielleicht« hielt dich auf falscher Bahn.
Es war zu spät; du hattest dich entschieden
und lebtest also nicht mehr in der Zeit.
Zwar warst und bist du immer noch hienieden,
doch war’s schon Tod und ist schon Ewigkeit.


Nachruf

Wo gingst du hin? Ich weiß es leider nicht.
Du gingst und bist wahrscheinlich doch geblieben.
Obzwar die Trauer gern vom Scheiden spricht,
der Himmel hat’s wohl anders vorgeschrieben.
Du hörst vielleicht mein Wort, hörst meine Fragen,
doch ahne ich, du weißt es selbst schon kaum,
und fühlst du es, so kannst du es nicht sagen;
im Grabe spricht kein Schläfer mehr im Traum.

Wo gingst du hin? O wüßte ich es doch!
Ich muß ja auch denselben Weg einst gehen
und werde in der letzten Stunde noch
mit dieser Frage vor der Pforte stehen.
Denselben Weg? Und auch dieselbe Pforte?
Wer darf wohl sagen ja, und wer wohl nein!
Gibt es denselben Ort am selben Orte?
Und wer da kommt, tritt der auch wirklich ein?

Wo gingst du hin? Ist diese Frage klar?
Ist wohl die Trennung örtlich zu verstehen?
Wo hier der Mensch mit seiner Seele war,
dorthin wird sie, sobald sie frei ist, gehen.
Wir waren Eins im Glauben und im Lieben;
du trachtetest wie ich nach Gottes Licht;
so sind wir also doch vereint geblieben
und beide glücklich; ich verlor dich nicht!


Dichterwunsch

Hat meine Stunde einst geschlagen,
die ernsteste, die es wohl gibt,
so soll kein Herze um mich klagen,
und wenn es noch so sehr mich liebt.
Ich habe mich dann durchgerungen
und werf das enge Kleid von mir,
hab meine Seele freigesungen.
Geh heim, doch noch nicht fort von hier.

Es lag in mir ein doppelt Leben;
das eine kennt die Erde nicht;
das andre hab ich euch gegeben;
es wurde für euch zum Gedicht.
Macht dieses Leben euch zu Eigen;
denkt und empfindet euch hinein,
so werde ich die Hand euch reichen
und niemals ferne von euch sein.

Drum trauert nicht, wenn mir die Stunde,
die mich zum Vater ruft, einst schlägt.
Sie bringt mir ja die frohe Kunde,
nach der mein Herz Verlangen trägt.
Ihr Ernst wird mir die Wangen bleichen,
doch wenn ihr um mich steht und bebt,
so wird sich auch mein Glaube zeigen:
»Ich weiß, daß mein Erlöser lebt.«

Dann, wenn ihr seht, daß ich geschieden,
daß ich. man sagt, gestorben bin,
so stört mir nicht den Himmelsfrieden,
begrabt mich nur nach meinem Sinn.
Auch tot will ich die Hände halten
so fromm, wie ihr es täglich seht.
Ich bitte euch, sie mir zu falten,
als läge still ich im Gebet.

Legt eine einzge, kleine Blume
mir auf die eingesunkne Brust.
Ihr wißt, ich hielt nichts von dem Ruhme,
ich war der Fehler mir bewußt.
Tragt mich hinaus, nicht mit Gepränge;
es ist des Sünders letzter Gang.
vermeidet prahlerische Klänge;
wählt einen ernsten Bußgesang.

Dann sollt ihr in das Grab mich legen,
die Handvoll Erde mit hinein,
und eines Priesters Gottessegen,
der soll und wird mein Helfer sein.
Ein Denkmal ist euch streng verboten,
doch sei der Hügel grün berankt.
Mit Erz und Stein dankt man den Toten;
ich weiß, daß ihr mir besser dankt.

Ich will ja nicht von hinnen scheiden,
und ihr, ihr laßt mich auch nicht fort;
der Tod wird zwar mich anders kleiden,
doch wechsele ich nicht den Ort.
Den Körper trägt man wohl zu Grabe,
den Menschen und den Dichter nicht.
Der Eine sei euch Himmelsgabe;
der Andre bleib euch – – kein Gedicht!


Die zweite Welt

»Ich bin nicht frei. Ich werde fest gehalten.
Ich fühl’s, hab oft darüber nachgedacht.
Ich will nach Gottes Willen mich gestalten,
und das wird mir so schwer, so schwer gemacht.
O, dürfte meine Frage aufwärts schweben,
wie ich’s für sie ersehne, himmelan,
empor zur Wahrheit, die mir Antwort geben,
die mich befrein, die mich erlösen kann!«

»»Komm mit! Ich trage dich auf leichten Schwingen
von dieser Erde fort zur zweiten Welt.
Ich kann dich nicht bis in den Himmel bringen;
er öffnet keinem Sterblichen sein Zelt;
doch will ich dir eins seiner Wunder zeigen,
wenn du dich meiner Führung anvertraust.
Dein Staunen braucht nicht gegen mich zu schweigen.
Du darfst mir Alles sagen, was du schaust.««

»Ich seh der Erde finstre Schatten fallen,
unendlich weit, auf Ewigkeiten hin,
und hör aus ihnen grelle Stimmen schallen
empor zum Glanz, in dem ich mit dir bin.
Wir schweben hoch, im sanften Erdenscheine,
so mild, wie ihn die stille Mondnacht liebt,
und um uns klingen überirdisch reine
Akkorde, die es nicht auf Erden gibt.«

»»Das ist nicht Erdenglanz und nicht ihr Schatten;
das ist der Seelen Finsternis und Licht.
Dort fehlt das Licht, weil sie es niemals hatten,
doch hier war’s stets, drum fehlt auch jetzt es nicht.
Wo du hier bist, das bleibe dir verschwiegen;
doch deiner Seele ist es wohlbekannt.
Schau hin, schau hin! Siehst du es vor dir liegen,
der zweiten Welt geheimnisvolles Land?««

»Der zweiten Welt? Ist das nicht auch die Erde?
Gebirge, Land und Wasser, Feld und Au,
so gleich, so ähnlich, daß fast irr ich werde,
sogar der Dörfer und der Städte Bau!
In klarer Schönheit ragt empor das Reine,
als hab es sich vom Irdischen befreit;
ein Nebelzwielicht sondert das Gemeine;
in finstern Schluchten haust die Niedrigkeit.«

»»Du siehst den Trieb nach. oben und nach unten,
die Flug- und Zugkraft dieser Wunderwelt.
Die Gegensätze scheinen zwar verbunden,
doch nur, bis Gott die letzte Frage stellt.
Nun schau, wie ihr auf sie euch vorbereitet,
indem ihr hier an eurer Antwort baut!
Das Sein, das sich vor deinem Auge breitet,
es spricht schon jetzt bestimmt genug und laut.««

»Es leuchtet mir, den Nebeln hoch entstiegen,
als träumte ich ein nie geahntes Land.
Ich seh es wie ein Eden vor mir liegen,
gesegnet überreich von Vaters Hand.
Doch unter jener Dämmrung gähnt der Schauer
erbarmungslos herauf aus Schlucht und Schlund.
Schwarz liegt dort das Verderben auf der Lauer;
wem wird wohl seine ganze Tiefe kund!«

»»Einst wird sie kund. Und wehe, wehe Allen,
Die dieses Abgrunds Rachen zugestrebt!
Wem muß der Mensch denn beim Gericht verfallen?
Doch wohl nur dem, wofür er hier gelebt!
Dann wird auch kund, wie hoch die Berge steigen
für Jeden, der das Graun der Tiefe flieht.
Es soll sich dir die erste Stufe zeigen.
Berichte mir, was jetzt dein Auge sieht!««

»Ich sehe plötzlich sich vor mir entfalten
ein Leben, wie in einem Zauberreich.
Es regt sich wie von menschlichen Gestalten,
und doch sind sie nicht völlig menschengleich.
Es ist ein Kommen und ein wieder Gehen,
so leicht und licht, so lieb, so wunderbar;
ich kann es nicht begreifen, nicht verstehen,
und doch empfinde ich in mir es klar.«

»»Es mag dir dies Empfinden offenbaren,
daß deine Seele dieses Leben kennt.
Du sollst die Wahrheit über das erfahren,
was ihr auf Erden Seelenleben nennt.
Hier wohnt die Seele, nicht in deinem Leibe;
du wirst von ihr besucht – – du sagst »beseelt«.
Daß sie nicht immerwährend in dir bleibe,
das ist’s, das dort die Tiefe dir verhehlt.««

»Die Tiefe dort? Ich seh auch sie sich regen,
so deutlich und doch ebenso versteckt,
es ist ein unheilkündendes Bewegen,
das mich im Innern warnt, weil es erschreckt.
Mir scheint, ein Höllennest von Geisterspinnen
in Menschenform sei nur darauf bedacht,
sich immer neue Fäden auszusinnen
für ein mir unbekanntes Werk der Nacht.«

»»Du kennst dies Werk. Ich hab von ihm gesprochen,
als über das Verhehlen ich geklagt:
Dort wird durch falsche Fäden unterbrochen,
was deine Seele deinem Geiste sagt.
Dann steigt der reine Lobgesang der Sphären
nicht zu dir nieder in das Erdental,
und es vermag dich nicht mehr zu verklären
hier dieser Berge heilger Sonnenstrahl.««

»Ich danke dir! Dies Wort aus deinem Munde,
wie groß ist es, wie groß und schön zugleich!
Es bringt von meiner Seele mir die Kunde
aus einem andern, nicht des Körpers Reich.
Wie gern kann auf den Irrtum ich verzichten,
der sich den Leib von ihr bewohnt gedacht!
Wer will, mag sich auch ferner nach ihm richten,
mich aber hast du von ihm frei gemacht.«

»»Nur dich allein? Auch sie ist frei geworden,
weil du sie dir nicht mehr im Fleische denkst.
Sie kommt zu dir nun durch die sichern Pforten,
zu denen du ihr die Erlaubnis schenkst.
Sie wird von keinem Netz mehr aufgehalten,
das ihr der Feind des lichten Himmels stellt;
sie kann nun ihre Flügel frei entfalten,
um dich zu tragen nach der zweiten Welt.««


Oberflächlichkeit

Denk nicht, das Leben sei ein Spiel!
Es meint’s gar ernst, ja, mehr als ernst.
Erforsche seinen Zweck, sein Ziel,
damit du es begreifen lernst!
Du gehst behaglich hier spazieren,
machst dir’s so viel wie möglich leicht
und glaubst was wunder zu verlieren,
wenn sich ein Tag nicht folgsam zeigt.
Und brauchst du irgend welche Sorgen,
so muß die Erde sie dir borgen.

Du gehst auf einem weiten Moor,
das du wohl fest und sicher nennst,
nur weil du seinen Blumenflor
nicht als zum Sumpf gehörig kennst.
Du sollst hinüber, sollst dich retten
und bist verloren, bleibst du stehn;
wirst du gehalten von den Kletten,
so sinkst du ein, mußt untergehn.
Und zieht dich das Verderben nieder,
so gibt es dich dann niemals wieder.

Denk nicht, das Leben sei ein Spiel;
es ist die Rettung vor dem Tod,
der Schritt um Schritt, bis an das Ziel
stets unter deinen Füßen droht.
Du gehst darüber, täglich, stündlich
und siehst es nicht, wie tief es ist;
es ist ja grad so unergründlich,
weil du so oberflächlich bist.
O, denke tiefer dich ins Leben,
dann kann’s für dich noch Rettung geben!